Kaum ist am Mittwoch der erste Graupelschauer auf Istanbul niedergegangen, hagelt es Absagen. Das Fußballtraining fällt aus. Die Türkischlehrerin sagt vorsorglich für die ganze Woche ab. Konferenzen werden verschoben. Schulen werden geschlossen. Schwangere Staatsbedienstete beurlaubt. Die Stadtverwaltung schickt Warnmeldungen an alle Handybesitzer. „Alle unsere Teams sind in Alarmbereitschaft“, heißt es in der SMS. Mit dem Auto soll man nur fahren, wenn unbedingt nötig, und dann auch nur mit Winterreifen und Schneeketten.
Schneeketten in Istanbul? In manchen Stadtteilen bleibt es an diesem Tag bei Grieselwetter. Doch Istanbul ist groß. In anderen Vierteln herrschen Schneetreiben und Verkehrschaos. Die Bilder versetzen die ganze Stadt in Panik, so wie in Deutschland die paar heißen Tage im Jahr. Rutschige Straßen gepaart mit Istanbuls berüchtigten steilen Hügeln erhöhen die Unfallgefahr.
In der Türkei wird gern gelästert, dass die Istanbuler schon bei trockenem Wetter nicht Auto fahren können. Hinzu kommt, dass viele Istanbuler keine Winterreifen haben. Sie können oder wollen sich das nicht leisten angesichts der Inflationskrise, die die Preise auf Londoner Niveau gehoben hat – die Löhne aber nicht. Schon wird über Fahrverbote für Motorräder diskutiert. Das würde die Lieferdienstfahrer treffen.
Vorher hat es zwei Wochen lang geregnet
Der Fährverkehr wurde eingestellt. In der sonst so überfüllten Stadt herrscht Leere. Selbst die sonst bei jedem Wetter mit Heizstrahlern draußen sitzenden Cafébesucher sind verschwunden. Auch die sonst allgegenwärtigen Straßenkatzen haben sich verkrochen. Dabei war das Wetter schon vorher unerträglich. Seit zwei Wochen herrscht Dauerregen. Doch in der wasserarmen Stadt beschwert sich niemand über Regen.
Nun sprechen die Medien bei milden Temperaturen von einem Grad plus von einer „heftigen Kältewelle“ in Istanbul. In der höher gelegenen Hauptstadt Ankara ist man da Schlimmeres gewohnt. Doch die Istanbuler Infrastruktur ist auf Kälte nicht ausgelegt. Die zuständige Behörde warnt schon vor platzenden Wasser- und Abwasserleitungen.
Anderswo herrscht da ein entspannteres Verhältnis zum Schnee. Der Nordosten liegt den ganzen Winter über unter einer weißen Decke. Die Winterromantik lockt Touristen an. Einer der bekanntesten Romane des bekanntesten türkischen Autors Orhan Pamuk heißt: „Schnee“.