Da zuletzt über Nick Caves sämtliche Aktivitäten als Musiker, Maler, Entertainer und Therapeut zurecht viel Lobendes gesagt wurde, darf vielleicht auch mal gesagt werden, dass er als junger Mann oft aussah wie eine dumme Nervensäge. Überprüfen kann man das am nun in deutschen Kinos zu sehenden Dokumentarfilm „Mutiny in Heaven“ über Caves frühere Band The Birthday Party, die als solche von 1978 bis 1984 existierte (unter anderem Namen und in anderer Zusammensetzung schon seit den mittleren Siebzigerjahren).
Selbst Aficionados müssen zugeben, dass der Film mit ziemlichem Geraune der Bandmitglieder aus dem Off beginnt, die ihre Punk-Jugend aus der Rückschau haltlos glorifizieren, selbst wenn sie deren ständige Lebensgefahr beschwören. Man erfährt, dass Cave als Teenager aus den Fenstern fahrender Züge aufs Dach geklettert ist, dass er Waschbecken abgetreten und andere herablassend behandelt hat.
Krimis, Pornohefte und die Odyssee
Aber auch die anderen waren wild und oft im Drogenrausch. Eine Tour musste abgesagt werden, weil der Bassist Tracy Pew wegen Trunkenheit am Steuer im Gefängnis war. Vom Gitarristen und Songschreiber Rowland S. Howard wird die Wildheit rückblickend ästhetisch überhöht: Gute Rockmusik müsse so angsteinflößend sein, dass man immer eine Reihe von Polizisten zwischen Musikern und Publikum benötige.

Als Dokument wie als Kunstwerk aber ist der Film gut und schafft ein fast immersives Erlebnis einer Band ihrer Zeit. Konzertmitschnitte der theatralischen Gruppe zwischen den Stilen Punk, New Wave, Rockabilly und Psychedelic Rock mischen sich mit Fotos; Straßenszenen aus Melbourne in den Siebzigern bald mit solchen aus London, New York und Berlin, wo die Birthday Party sukzessive ihr Unwesen trieb. Angereichert wird dies noch durch animierte Graphic-Novel-Passagen sowie Collagen aus Songtexten und Album-Artwork. Bei der Präsentation von Stücken wie „Zoo Music“ wirkt der Film fast selbst wie ein Musikvideo. Angesichts der literarischen Einflüsse, die er schildert, und dem künstlerischen Ergebnis der Band denkt man manchmal: Das kommt davon, wenn man gleichzeitig Krimis, Pornohefte und die „Odyssee“ liest!
Die Erzählung mäandert vom genussvollen Drogenmissbrauch zum verzweifelten. Wenn nichts mehr hilft, kann man immer noch eine Müllkippe anzünden und ein bisschen Hölle spielen. Lässt sich das noch steigern? Ja, vielleicht mit Auftritten in New York, bei denen eine goldene Hose im Schritt platzt, der Gitarrist Vodka erbricht und schon nach 20 Minuten der Stecker gezogen wird, weil die Veranstalter eine Katastrophe fürchten. Fazit: Für New York sei die aufmüpfige Kapelle damals vielleicht einfach zu heiß gewesen, während sie für London zu arm war.
So geht es noch eine Weile weiter, bis sich die Band dann schließlich in Berlin selbst zerlegt – von den typischen Streitigkeiten um kreative Führung blieb auch sie nicht verschont. Nick Cave gründete mit Mick Harvey und dem neu kennengelernten Blixa Bargeld bald die Bad Seeds, Tracy Pew starb schon 1986, Rowland S. Howard fand trotz Enttäuschung andere Musiker und nahm auch Soloalben auf, bevor er 2009 starb.
Nick Cave, der sich über weite Strecken des Films halbnackt und mit einer Dose Haarspray in der Frisur die Seele aus dem Leib geschrien hat, sitzt im Interview Jahrzehnte später als gereifter und countryfizierter Man in Black mit Schnurrbart und gestriegeltem Haar sehr lässig da, als wolle er sagen: Ja, wir haben so manches überlebt.