Von Maria Calles ist Pablo Larraín fasziniert, seit er ein Kind ist. Seine Mutter hatte ihn mit in die Oper genommen. Auf der Heimfahrt legte sie eine Kassette ins Autoradio und sagte zu ihm: „Was wir gerade gesehen haben, war sehr schön. Aber das hier ist das einzig Wahre.“ Dann hörte er die Callas singen. Obwohl das schon rund vierzig Jahre her ist, erinnert sich der chilenische Regisseur noch daran. „Maria Callas war für mich der Heilige Gral; sie verkörperte das, was Oper sein sollte“, sagt Larraín beim Interview in Berlin.
Draußen hängt der bleigraue Winterhimmel über der Stadt. Drinnen legt Larraín seinen Chanel-Schal ab, dessen Logos die kühle Farbe mit einem dunklen Blauton vermischen. Für die Deutschlandpremiere seines Films „Maria“ ist der Chilene angereist, ein bisschen müde um die Augen, aber sofort konzentriert bei der Sache, wenn es um seine Kunst geht. Den Film über die Operndiva trug er lange mit sich herum. „Maria“, in dem Angelina Jolie die Rolle der Callas übernimmt, bildet nun nach „Spencer“ (2021) über Prinzessin Diana und „Jackie“ (2016) über Jacqueline Kennedy den Abschluss seiner Trilogie – einer Diven-Trilogie, wie manche sagen. Am Abend vor dem Interview erregt das Wort im Freundeskreis Aufregung. Könne man Diana wirklich als Diva bezeichnen? Oder Jackie Kennedy? Bei der Callas sind sich hingegen alle einig, dass sie den Diva-Titel verdient. Wie also sieht es der Mann, der sich über Jahre mit den drei Frauen beschäftigt hat?

„Zunächst einmal müssen wir definieren, was das überhaupt ist, eine Diva“, sagt Larraín. Wir diskutieren Definitionen: Zum einen bezeichnet der dem Italienischen entlehnte Begriff eine gefeierte Künstlerin, die eine Ausnahmeerscheinung ihres Fachs darstellt. Zum anderen benutzt man das Wort heutzutage für eine kapriziöse Frau, die im Umgang als schwierig gilt. Was davon trifft nun zu? „Auf Maria Callas? Beides!“, sagt Larraín und lächelt. „Um eine Diva zu werden, muss man erst einmal ein Werk erschaffen, man muss jemand sein, der etwas Solides kreiert hat. Prinzessin Diana und Jacqueline Kennedy waren deshalb meiner Meinung nach keine Diven.“
Maria Callas aber, die ihren ersten öffentlichen Auftritt im Alter von fünfzehn Jahren hatte, deren Stimme fast drei Oktaven umfasste und die bis heute als größter Opernstar gilt, erfülle die Definition, selbst den Teil, der ihr unterstellt, kapriziös zu sein. „Wegen der Qualität dessen, was sie tat, erwartete sie von allen anderen, sich entsprechend zu verhalten“, sagt Larraín und belegt das mit einer Anekdote seiner umfassenden Recherchen. „Wenn Maria Callas zu einer Probe kam, tolerierte sie es nicht, wenn ein anderer Sänger seine Noten nicht perfekt konnte. Sie verlangte anderen viel ab, weil sie an sich selbst die höchsten Maßstäbe setzte. Da war sie schwierig.“

Im Film scheint diese komplizierte Seite der Callas durch, wenn sie ihren treuen Butler zwei Mal täglich den Flügel verrücken lässt, bis er am perfekten Platz im Salon steht. Die Kulisse ist eine getreue Nachbildung des echten Apartments in der Pariser Avenue Georges-Mandel Nummer 36, in dem die Sopranistin die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte und wo sie 1977 im Alter von nur 53 Jahren einem Herzinfarkt erlag. Die Originalwohnung hat der chilenische Regisseur für seine Recherchen besucht: „Die Person, die jetzt darin lebt, war so nett, uns einzulassen. Es hat sehr geholfen, dort zu sein, um zu verstehen, wie die Beziehung von Maria zu dieser Stadt war“, sagt Larraín und erzählt dann vom Licht und der Struktur des Apartments.
Jedes Kleidungsstück beruht auf Originalaufnahmen
Räume sind für ihn wichtig. Alle drei Filme spielen über einen eng abgesteckten Zeitraum an Orten, die für die Biographie der jeweiligen Frau zentral waren. Natalie Portman trauert als Jacqueline Kennedy um ihren ermordeten Ehemann und erinnert sich an die Zeit im Weißen Haus. Kristen Stewart verbringt als Prinzessin Diana drei Weihnachtstage mit der Königsfamilie auf Schloss Sandringham, erstickt fast an der emotionalen Enge und fällt den Entschluss, mit den Konventionen zu brechen und ihren Gatten, Prinz Charles, zu verlassen. Und Angelina Jolie gibt Maria Callas in der letzten Woche vor ihrem Tod, wie sie durch ihr Apartment und Paris streift und im Rausch der Schmerzmittel, die sie aufgrund einer Krankheit einnehmen muss, ihr Leben Revue passieren lässt.

Jedes Detail, jede Frisur, jedes Kleidungsstück beruht dabei auf Originalaufnahmen, entführt in die Sechziger- („Jackie“), Siebziger- („Maria“) und frühen Neunzigerjahre („Spencer“). Allein für „Maria“ las der Regisseur neun Biographien, grub zahlreiche Magazine und die zeitgenössische Filmberichterstattung aus. Die Kostüme, die für Jolie angefertigt wurden, sind getreue Nachbildungen der Callas-Garderobe: vom bunten Seidenkleid für die „Medea“-Produktion in Mailand über den aufwendigen „Turandot“-Kopfschmuck bis zum schwarzen Fellmantel über einer weichen, weiten Hose, der aufnimmt, zu welch minimalistischen Farben und Schnitten die Sängerin gegen Ende ihres Lebens tendierte. Am meisten überrascht die dicke Brille, die Jolie trägt, denn die Callas war darauf bedacht, sich nicht mit diesen Gläsern ablichten zu lassen. „Ich habe deswegen extra einen Optiker konsultiert“, sagt Larraín. „Maria Callas war sehr kurzsichtig; nur was sich fünf Zentimeter vor ihren Augen befand, konnte sie erkennen.“ Wie ein Prisma verzerren die Gläser im Film die Divenaugen. „Auf der Bühne hatte sie diese Brille natürlich nicht getragen, den Dirigenten hat sie also nie gesehen. Es gab für sie dicke, extra große Markierungen, damit sie ihren Weg fand.“ Jolie habe die Brille geholfen, sich besser in die Rolle einzufühlen.

Angelina Jolie hatte ihn angeschrieben
Sie hatte dem Regisseur vor Jahren geschrieben, dass sie gern mit ihm zusammenarbeiten wollte. Für „Maria“ nahm sie sieben Monate Gesangsunterricht, um die Haltung und Atmung nachbilden zu können. Beim Filmfestival in Venedig, wo „Maria“ im Herbst seine Premiere feierte, schwärmte sie von der engen künstlerischen Zusammenarbeit mit Larraín. So wie sie äußerte sich bislang jede Schauspielerin, die mit ihm drehte. Kristen Stewart lobte seinen respektvollen Blick auf weibliche Erfahrungen. Und Natalie Portman erzählte unlängst begeistert von seiner Fähigkeit, „diese Frauen, die oft als Ikonen wahrgenommen werden, als Menschen zu zeigen, mit all ihrer Kompliziertheit, ihrer Unordnung, ihren Geheimnissen“.

Was genau faszinierte ihn an Jackie, Diana und Maria – was hatten diese Frauen gemeinsam? „Alle drei Frauen gehören zu den am meisten fotografierten Menschen aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Sie waren Leute, für die sich die Presse sehr interessiert hat. Und sie haben sehr darunter gelitten, wie sie dargestellt wurden, haben dagegen gekämpft“, so Larraín. Wichtiger aber noch als dieser gemeinsame Aspekt: „Alle drei standen zu sehr mächtigen Familien in Beziehung: dem britischen Königshaus, den Kennedys, den Onassis – man bezeichnete sie als ‚die Frau von …‘, aber sie waren so viel mehr als das.“ Kein Mann bestimmte ihr Leben. „Sie alle waren stärker als diese Männer an ihrer Seite. Und sie fanden eine Stimme, sie fanden eine Identität, und dadurch hatten sie einen großen kulturellen Einfluss. Millionen Menschen auf der ganzen Welt fühlten sich mit ihnen verbunden.“
Die Männer nehmen in seinen Filmen dementsprechend kaum Platz ein. Charles kommt in „Spencer“ keine fünf Minuten zu Wort. John F. Kennedy erscheint in „Jackie“ nur als Erinnerungsschemen. Und der griechische Milliardär Aristoteles Onassis, die große Liebe der Maria Callas, darf sie in einem Rückblick umwerben, und sie besucht den sterbenden Geliebten im Krankenhaus (muss aber gehen, bevor seine Ehefrau Jackie eintritt – hier winken sich die Filme kurz zu). „Wenn ich zurückblicke, bin ich stolz darauf, dass nicht einer der Filme eine Frau zeigt, die von einem Mann verletzt oder zerstört wurde“, sagt der Regisseur. „Es geht darum, wer sie sind, ohne sich um die Männer an ihrer Seite zu kümmern.“
Irgendwann heben die Filme ab, verlassen den Boden der Realität, sehen die Welt durch die Augen der Frau – und zeigen: Aus dieser Perspektive ist wirklich alles möglich.