Ob Syrien nach dem Machtwechsel ein sicheres Land sei, diese Frage kann Nahla Osman nicht beantworten. Zwar sei die deutsch-syrische Rechtsanwältin nach dem Umsturz bereits in das Land gereist, sagte sie am Freitagabend auf einer Podiumsdiskussion im Haus am Dom. Auch habe sie in Damaskus gemeinsam mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) mit der Übergangsregierung um Ahmed al-Scharaa gesprochen, ebenso die Städte Aleppo, Idlib und Homs gesehen. Dennoch: Ein Urteil käme wohl verfrüht. Die neuen Machthaber müsse man erst „an ihren Taten messen“.
Armut und Zerstörung in Syrien seien jedenfalls von einem Ausmaß, „das man sich nicht vorstellen kann“. Kinder spielten mit ausgebuddelten Menschenknochen verscharrter politischer Gegner des ehemaligen Assad-Regimes. In weiten Regionen des Landes gebe es so gut wie keinen Strom. Dennoch sprach Osman in der Diskussionsrunde, die von der Katholischen Akademie und dem Domkreis Kirche ins Leben gerufenen wurde, auch von „großer Hoffnung“ und einer „einmaligen Chance“. Als der syrische Diktator Baschar al-Assad außer Landes geflohen sei, sei das „der glücklichste Tag meines Lebens gewesen“.
Es waren solcherlei Einlassungen und Einblicke in das Innenleben syrischstämmiger Menschen, die für knapp 60 Zuhörer, Mitglieder der syrischen Diaspora und Interessierte anderer Nationalitäten gleichermaßen, die Podiumsdiskussion interessant machte. Unter der Überschrift „Deutsch-Syrer zwischen Syrien und Deutschland“ galt es, darüber zu sprechen, wie es nunmehr für Hunderttausende Syrer weitergehe.
„Die Menschen sind in der Schwebe“
Nach dem „syrischen Mauerfall“ müsse es „uns allesamt“ nun gelingen, die „syrische Einheit“ herzustellen, sagte der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime und Sohn eines Syrers, Aiman Mazyek. Schon aus reinem Eigennutz seien die Beteiligung Deutschlands und der Europäischen Union daran geboten. Weshalb sich Deutschland gleichsam wie ein Zaungast beim Wiederaufbau und einem damit einhergehenden Demokratisierungsprozess zurückhalte, könne er nicht verstehen.
„In der westlichen Welt sind wir mit Abstand das Land, in dem die meisten Syrer leben“. Allein rund 400.000 von ihnen besäßen derzeit den sogenannten subsidiären, also zeitweiligen Schutzstatus, sagte Osman. Als Anwältin werde sie regelmäßig gefragt, ob bei einer Reise nach Syrien eine Rückkehr nach Deutschland möglich sei; was sie verneinen müsse. „Juristisch ist es zur Zeit nicht möglich.“
Es sei vonnöten, ein Zeitfenster für alle Syrer einzurichten, damit diese sich selbst ein Bild von der Lage machen könnten. „Die Menschen sind in der Schwebe.“ Es sei die kollektive Angst Abertausender, nicht nach Deutschland zurück zu dürfen. „Sie werden nicht alle wieder in ihr Heimatland gehen“, sagte Mazyek. Doch könne man eine Situation schaffen, die beiden Ländern zum Vorteil gereiche.
Hazem Zakri, Mitglied der Gesellschaft Syrischer Ärzte und Apotheker in Deutschland, der seit 2007 in Deutschland lebt, stimmte dieser These zu. Er kenne Kollegen, die bereits über eine Rückkehr nachdächten, „der Bedarf in Syrien ist schließlich riesig“. Konkrete Planungen, medizinische Zentren aufzubauen und dem Ärztemangel im Land zu begegnen, gebe es bereits.
Wie er und seine Landsleute indes die Migrationsdebatte wahrnähmen, will Moderatorin Julia Gerlach wissen. Das Thema werde „zugespitzt und ausgeschlachtet“. Es fehle an Differenzierung. Die Leistung syrischstämmiger Menschen kleinzureden sei „unfair“. „Sicherlich haben wir ein Problem mit der Migration“. Doch beziehe sich das nicht auf die Mehrheit der Bürger mit Migrationshintergrund, die in Arbeit stünden und Steuern zahlten.