Und dann steht man in Branitz. Im Park des Fürsten. Draußen in der Stadt flattern die blauen Plakate im eisigen Winterwind, hier drinnen im Park bei den Pyramiden gibt es geröstete Maronen und das Mondlied von Matthias Claudius. Hunderte Cottbuser sind an diesem frühen Abend gekommen, um ihres Fürsten an seinem 154. Todestag zu gedenken. Eine deutsche Szene ganz anderer Art. Eine Versammlung von Reichsbürgern im guten, nämlich phantastischen Sinne.
Ein Reich aus Kunst und Bildern, aus Abenteuern und fremder Welt war es, von dem Pückler zeit seines Lebens träumte, ein Reich, das durch flamboyante Zimmerausstattung und spektakuläre Gartengestaltung, durch florale Festons, neugotische Spiegeltüren und violette Wandbespannungen ins Werk gesetzt wurde. Durch künstliche Wolfsschluchten und ägyptische Pyramiden.
Sein Herz wurde mit Schwefelsäure übergossen
Um das Jahr 1850 begann Pückler mit der orientalischen Erweiterung seines Parks. Auf einer sechsjährigen Reise zu den großen Pyramiden von Gizeh, Meidum und Meroe hatte der kinderlose Fürst das Ideal einer kolossalen Grabarchitektur als bildhaftes Bollwerk gegen den verfänglichen Gedanken der Vergänglichkeit schätzen gelernt. Zurück in seiner slawischen Heimat begann er, nach einer Entsprechung zu suchen. Die zwei Pyramiden, die er erbauen ließ, sind nicht aus Stein, sondern aus aufgeschütteter und begrünter Erde. Eine von ihnen steht an Land auf einem Hügel, die andere, „Tumulus“ genannt, ist von einem kleinen See umgeben. In ihr liegt der Fürst begraben.
Testamentarisch hatte Pückler festgelegt, dass sein Leichnam mit einem Nachen, einem Einbaum-Kahn, über den „Styx-See“ gebracht und im Inneren der Pyramide zur Ruhe gelegt werden sollte. Da Feuerbestattungen zu seiner Zeit noch nicht gestattet waren und Pückler eine Erdbestattung ablehnte, wurde sein Körper in einem Metallsarg in einer Lösung aus Ätznatron, Kali und Kalk zersetzt. Das exhumierte Herz wurde in einer kupfernen Urne mit Schwefelsäure übergossen. In einem mit Eichenholz abgestützten Stollen im Inneren der Pyramide sollte der Sarg des Fürsten aufgestellt, mit Bohlen verschlossen und von außen mit Erde überdeckt werden.
Eine Behelfsbrücke über den zugefrorenen See
Als Pückler am 4. Februar 1871 in seinem Orientzimmer starb, sollen seine letzten Worte gewesen sein: „Man öffne mir den Weg in den Tumulus.“ Unbeschwerlich war der Weg dorthin dann nicht, denn bei der wenige Tage später stattfindenden Bestattungszeremonie war der See um den Tumulus zugefroren, sodass die charonhaft geplante Überfahrt nicht stattfinden konnte. Stattdessen wurde der Sarg über eine hölzerne Behelfsbrücke zum Tumulus gebracht. Man kann sich die Enttäuschung des bildbesessenen Fürsten über das Scheitern seiner Abschiedschoreographie lebhaft vorstellen.

Gewissermaßen um diesen Makel beim letzten Geleit wettzumachen, stehen die Cottbuser an diesem Abend am Tumulus-See und halten schweigend Kerzen in den Händen. Am Ufer spielt eine Blaskapelle romantische Lieder, auf der ägyptischen Treppe, die hinab zum Wasser führt, liegt ein Ehrenkranz bereit. Plötzlich hört man ein leises Krachen. Auch an diesem Winterabend ist das Wasser gefroren, liegt eine eisige Schicht über dem mondbeschienenen See. Aber die zwei Männer im Kahn, der jetzt langsam hinter der Pyramide hervorstößt, rammen ihre hölzernen Stangen mit festem Willen ins Eis und schieben sich vorwärts bis zur Treppe. Dort nehmen sie den Kranz entgegen und stoßen vor bis zu einer kleinen Insel , wo ein Grabstein mit den Namen des Fürsten und seiner Fürstin steht.
Es herrscht eine fast heilige Stille, niemand spricht ein Wort, selbst die Kinder schauen von ihren Displays auf. Zum Schluss entflammen an den Eckpunkten der Pyramide bengalische Feuer. Es ist eine eindrucksvolle Szene. Ein theatrales Erinnerungsstück, aufgeführt und ernsthaft empfunden von den Cottbusern, die sich an diesem Winterabend in Erinnerung an ihren Fürsten versammeln. Wenn das Deutschland von heute auch auf sie und ihre „Strukturschwäche“ herabschauen mag, an ihrem traumstarken Fürsten halten sie umso inniger fest.